Zum wiederholten Mal ereignete sich vor den RuT e.V. in der Schillerpromenade in Neukölln ein lesbenfeindlicher Übergriff.

Während der Dreharbeiten zum Thema „Queere Kulturorte erhalten“ wurde die Leiterin von RuT e.V. Ina Rosenthal von drei jungen Männern mehrfach mit Gewalt bedroht, lesbenfeindlich beleidigt und wissentlich vor laufender Kamera in ihrer Arbeit gestört. Unter anderem schrien die Männer „Du Scheiß Lesbe“ und „Ich hau dich kaputt“. Auch der Kameramann wurde mehrfach bedroht und beleidigt. Nach mehreren Dialogversuchen und wegen zunehmenden aggressiven Verhaltens wurde die Polizei gerufen. Die Männer ließen nicht ab und suchten weiterhin die Konfrontation, sodass erst nach ca. 60 Minuten die Dreharbeiten wieder aufgenommen werden konnten. Insgesamt 6 Polizisten waren vor Ort und bemühten sie die Angreifer zu Ruhe zu bringen. Anzeigen wurden erstattet. Diese war ein bewusst initiierter Angriff auf die Öffentlichkeitsarbeit lesbischer Frauen und Queerer Kultur.

Bereits vor wenigen Monaten war es vor den Geschäftsräumen des RuT zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einem Passanten und Mitarbeiterinnen gekommen. Ein Passant hatte zwei Mitarbeiterinnen vor der Tür anlasslos lesbenfeindlich beleidigt und körperlich angegriffen. Als sie sich der Situation entziehen wollten und in den Räumen Schutz suchten eskalierte die Situation, sodass die zwei Mitarbeiterinnen nur mit Hilfe einer weiteren Kollegin sich der Situation entziehen konnten. Es wurde Anzeige erstattet, jedoch ist das Verfahren vor ein paar Tagen erfolglos eingestellt worden. Der Täter konnte trotz detaillierte Beschreibung nicht ausfindig gemacht werden.

Das RuT e.V. arbeitet seit drei Jahrzehnten in diesen Geschäftsräumen vor allem für gesellschaftliche, soziale und kulturelle Teilhabe von älteren Lesben mit und ohne Behinderungen. Das RuT e.V. ist ein sichtbarer Ort der Inklusion und fester Bestandteil der Kiez-Infrastruktur. Hier finden zahlreiche kulturelle und soziale Veranstaltungen statt. Zum RuT gehören zahlreiche Projekte wie beispielsweise der Besuchsdienst „Zeit für Dich“, eine Nachbarschaftshilfe, das queere Inklusionsprojekt „LSBTIQ-Infrastruktur“, das Strukturprojekt „Lesbisch*Sichtbar.Berlin“ und das bekannte Projekt „Frauenkultur & Wohnen“. Außerdem bietet das RuT ein sehr umfangreiches Beratungsangebot und Coming-out-Gruppen an. Darüber hinaus ist es eine Aufgabe des RuT e.V. lesbische* Sichtbarkeit im Sinne von Anerkennung und Wertschätzung zu erhöhen, sowie Diskriminierungen abzubauen und Teilhabe in der Zivilgesellschaft zu fördern.

„In diesem und anderen Übergriffen auf uns und unser Projekt liegt gleichzeitig ein Auftrag an die Politik und die Zivilgesellschaft,“ so die Leiterin des RuT, Ina Rosenthal „Es kann angesichts steigender Lesben-, Schwulen- und Transfeindlichkeit nicht angehen, dass sich die Betroffenen auch noch selbst ihr Recht auf ein gewalt- und diskriminierungsfreies Leben und Arbeiten selbst erstreiten und verteidigen müssen. Es braucht die Wachsamkeit und die aktive Solidarität aus der Mehrheitsgesellschaft.“

Queere Kulturorte, Lesbenorte und andere Safe Spaces marginalisierter und von Diskriminierung und Gewalt betroffener Gruppen zu erhalten, ist ein wichtiges Ziel. Doch zu diesen Orten gehören auch die Menschen, die diese nutzen. Um diese Orte zu erreichen, müssen sie durch den öffentlichen Raum. Dies darf kein Angstkorridor sein, in dem die eigene, individuelle Sichtbarkeit zur Gefahr wird. Ohne wirksame Maßnahmen gegen Feindlichkeiten und Gewalt im öffentlichen Raum und ohne handelnde Solidarität und eine solidarische Gesellschaft, sind queere Orte auch nur Mauern mit einem Hohlraum!

Im Fall des RuT geht es um Lesbenfeindlichkeit. Wir sind nicht gewillt, noch weiter eine Unsichtbarmachung dieser spezifischen Form von Homophobie hinzunehmen. Auch Lesben werden täglich Opfer von diskriminierender Gewalt. In der öffentlichen Darstellung wird Homophobie jedoch grundsätzlich synonym zu Schwulenfeindlichkeit verwendet und behandelt. Aufklärungskampagnen und Solidaritätsbekenntnisse machen vor allem schwule Opfer sichtbar. Wir fordern von Politik, Zivilgesellschaft und Community eine öffentliche Diskussion zu Lesbenfeindlichkeit! Denn Sichtbarkeit braucht Sicherheit. Das gilt auch für Lesben!

Für weitere Fragen stehen wir jederzeit zur Verfügung.

Auf Wunsch kann Film und Bildmaterial eingesehen werden.

 

Anbei ein persönliches Statement der Leiterin des RuT zum Vorfall am Samstag, 27. Juni 2020

„Scheiß Lesbe, ich hau dich kaputt“

Als am Samstag Nachmittag  einige Tausende LSBTI und Verbündete zum Gedenken an die Stonewall-Unruhen in New York vor 51 Jahren für Gleichberechtigung und Einhaltung der Menschenrechte demonstrierten stand ich vor den Räumen von Rut ev. und wollten vor laufender Kamera ein Statement abgeben zu „Queere Räume auch in Coroana Zeiten erhalten“ und „Lesbische Sichtbarkeit“.  Plötzlich befand ich mich jedoch im Mittelpunkt von lesben- und frauenfeindlichen Beschimpfungen, mir wurde Gewalt angedroht und ich musste erleben, wie es ist, auf offener Straßen angefeindet zu werden.

Wir waren mitten im Dreh als drei junge Männer sich dazu entschlossen durchs Bild zu laufen und mich während dessen wüst zu beschimpfen. Etwas später wurde auch der Kameramann beleidigt und bedroht. „Scheiß Lesben“ und „Ich mach dich platt“ waren noch die nettesten Worte, die uns um die Köpfe flogen. Und sie ging nicht einfach weiter, sondern blieben hinter mir stehen. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht. All das taten sie im vollem Bewusstsein, das sie dabei gefilmt wurden. Trotz mehrfacher freundlicher versuche die Situation zu deeskalieren bliebe sie, provozierten und beleidigten weiter, so dass ich und der Kameramann die Polizei rufen mussten.

Für mich war mittlerweile deutlich geworden, dass es hier gezielt darum ging, unsere Öffentlichkeitsarbeit zu verhindern und eine lesbische Frau mit Gewaltandrohungen einzuschüchtern. Letztendlich hat es 6 Polizisten und die Anwesenheit eines Vaters der jungen Männer gebraucht, um die Situation wieder so herzustellen das wir weiterarbeiten konnten

Über die Wichtigkeit lesbischer Räume zu sprechen, nachdem wir massiv bedroht worden sind war nicht leicht. Hatte dieser Vorfall mir doch gezeigt das wir nicht nur Räume sondern auch die Angstfreien Zugänge zu diesen dringend brauchen. Was mich aber zusätzlich zu tiefst schockiert hat war das keiner der Passanten, die diesen Vorfall mitbekommen haben, sich eingemischt hat. Niemand hat mit uns das Wort erhoben, sich solidarisch erklärt oder an unserer Seite gestanden. Es waren nicht nur die Passanten, sondern auch Anwohnende, die im Parkstück vor dem Drehort auf Bänken saßen, Tischtennis spielten und die Sonne genossen.

Es hat mich die bittere Erkenntnis gelehrt, dass wir immer noch ein eine Gesellschaft leben, in der das Umfeld schweigt und das mich in meinem Alltag lesben- und frauenfeindlicher Gewalt schutzlos ausliefert.

Wer schweigt, stimmt zu! Das wurde mir in dieser Situation schmerzlicher bewusst. Wie kann es sein, dass dieses Lesbenprojekt seit dreißig Jahren in diesem Kiez sichtbar für die Belange lesbischer Frauen, für ältere Lesben mit und ohne Behinderungen steht, dort Veranstaltungen stattfinden, dort reiches kulturelles Leben ist, ein Teil der Vielfalt unserer Gesellschaft abbildet und bei einem solchen Angriff die Nachbarschaft einfach wegsieht? Diese Frage muss gestellt werden! Niemand kann ohne Solidarität überleben. Warum gilt das nicht uns Lesben? Wir fordern Antworten, auch wenn wir sie schon kennen! Wir fordern Maßnahmen gegen Lesbenfeindlichkeit! Wir tragen unseren Teil seit über drei Jahrzehnten dazu bei.

Dass sich dieser Vorfall ausgerechnet bei einem Dreh eines Clips unter dem Motto „Queere Kulturorte erhalten“ ereignet hat, gibt der Kluft zwischen politischem Anspruch und alltäglicher Wirklichkeit eine zusätzliche bittere Note! Wir müssen über die Normalität und das Geduldet sein von Lesbenfeindlichkeit nicht nur reden, sondern wir müssen auch dagegen handeln.